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"Ein Europa der Kleingeister"

 

Rozhovor s ministrem Karlem Schwarzenbergem v týdeníku Der Spiegel z 9.1.2012.

Der tschechische Außenminister Karl Fürst zu Schwarzenberg, 74, greift die visionslosen europäischen Politiker an, warnt die Deutschen vor Großmannssucht bei der Verteidigung des Euro und würdigt seinen verstorbenen Freund Václav Havel.

SPIEGEL: Herr Minister, Sie haben als böhmischer Adliger die meiste Zeit ihres Lebens in Österreich und Deutschland verbracht, sind nach der Wende nach Prag zurückgekehrt und Politiker geworden, einen Schweizer Pass besitzen Sie ebenfalls. In welcher Sprache träumen Sie eigentlich?

Schwarzenberg:
Das kommt darauf an, wo ich gerade bin. Mal auf Tschechisch, mal auf Deutsch.

SPIEGEL: Also immer mitteleuropäisch. Wie weit reicht denn Ihrer Meinung nach Mitteleuropa? Welche Länder gehören noch in die EU?

Schwarzenberg:
Mitteleuropa hat keine klaren Grenzen, es geht quer durch Deutschland. Düsseldorf und Köln sind Westeuropa, München und Dresden sind schon Mitteleuropa. Es ist gut, dass Kroatien jetzt bald in die EU kommt, auch die Ukraine gehört hinein. Ich glaube, der ganze Westbalkan gehört hinein, wenn wir nicht ein Pulverfass unter dem Hintern haben wollen. Und die Türkei, wenn sie überhaupt noch will - und wenn sie sich entscheidend reformiert.

SPIEGEL: Die EU hat noch immer eine große Ausstrahlung auf die angrenzenden Länder ...

Schwarzenberg: Das Licht flackert gerade.

SPIEGEL: Nutzt Europa seine Ausstrahlung in gebührendem Maße, um Veränderungen im autoritär regierten Russland oder im diktatorischen Weißrussland herbeizuführen?

Schwarzenberg:
Europa ist schon sehr nach innen gewandt. Es blickt über den Tellerrand, aber über den Tischrand blickt es schon nicht mehr. Europa hat die Weltsicht etwas verloren.

SPIEGEL: "Jetzt auf einmal wird in Europa Deutsch gesprochen", hat kürzlich Volker Kauder gesagt, der Chef der CDU-Fraktion im Bundestag.

Schwarzenberg:
Erst mal stimmt das so gar nicht. Gerade habe ich eine Studie gesehen, nach der eindeutig feststeht, dass immer weniger Jugendliche in Europa Deutsch lernen, bedauerlicherweise.

SPIEGEL: Sie wissen aber schon, dass Kauder es wohl im übertragenen Sinn ...

Schwarzenberg: ... gemeint hat, ja. Und da muss man vorsichtig sein. Es gibt bei Ihnen durchaus diese Überzeugung: "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen."

SPIEGEL: Auf der anderen Seite wurde die Bundesregierung ja von manchen geradezu ultimativ aufgefordert, eine Führungsrolle in Europa zu übernehmen.

Schwarzenberg:
Zu Beginn der Krise habe ich einmal im Kreise meiner europäischen Kollegen vorgeschlagen: Wozu die ganzen komplizierten Beschlüsse, machen wir doch eine EU-Vorschrift, dass in jedem Finanzministerium der EU ein deutscher Buchhalter sitzen soll. Alle haben gelacht, aber allmählich kommen wir der Sache näher.

SPIEGEL: Stimmt, die Griechen haben schon einen deutschen Aufpasser.

Schwarzenberg: Man hört manchmal bei Deutschen heraus: Würdet ihr nur alle so schön fleißig und sparsam sein wie wir, würdet ihr nicht in dieser Scheiße sitzen. Das stimmt sogar ein bisschen. Aber man sollte sich selbst nicht zum Vorbild erklären.

SPIEGEL: Sie raten deutschen Politikern, etwas bescheidener aufzutreten?

Schwarzenberg: Es ist doch so: Der reiche Onkel, der einem geholfen hat und das demonstrativ zur Schau trägt, geht einem auf die Nerven. Gerade die kleinen Staaten sind da empfindlich. Und sie schätzen es auch nur bedingt, wenn sich Frau Merkel und Herr Sarkozy zusammensetzen und die Politik untereinander ausmachen, den übrigen dann die Ergebnisse bloß mitteilen. Das kann einige Zeit gutgehen, aber dann eben nicht mehr.

SPIEGEL: Ihr polnischer Amtskollege Radek Sikorski ist ja jetzt auf eine sehr europa- und vor allem deutschenfreundliche Linie eingeschwenkt. Er hat Berlin gemahnt, die Rettung des Euro in die Hand zu nehmen. Ihn ängstige deutsche Untätigkeit mehr als die deutsche Macht.

Schwarzenberg:
Das ist wirklich eine kopernikanische Wende im polnischen politischen Denken. Ich hoffe nur, dass die Deutschen das auch gebührend anerkennen. Er wird intern dafür maßlos beschimpft.

SPIEGEL: Berlin hätte also etwas euphorischer reagieren sollen?

Schwarzenberg: Das hätte mich gefreut.

SPIEGEL: Verstehen Sie denn die deutsche Angst, zum Hauptzahlmeister einer Trans-ferunion zu werden?

Schwarzenberg: Absolut verstehe ich das. Nur: Der deutsche Aufschwung und die Exportbilanz der Bundesrepublik beruhen darauf, dass die heute verschuldeten Länder in Deutschland auf Kredit eingekauft haben. Wer hat denn von der ganzen leichtfertigen Schuldenpolitik am meisten profitiert? Sie doch! Das sollten die Deutschen im Hinterkopf be-halten.

SPIEGEL: Und wie sehen Sie die Kanzlerin?
Schwarzenberg:
Frau Merkel ist eine beinharte Politikerin, die weiß, wann man warten muss, bis sich der Gegner von selbst erledigt. Das ist eine große Kunst, die ich anerkenne. Ob sie eine Vision von Europa hat? Vielleicht. Mir persönlich ist diese aber unbekannt.

SPIEGEL: Tschechiens Präsident Václav Klaus ist den Deutschen gegenüber misstrauisch und sehr EU-kritisch. Wie denkt die Bevölkerung?

Schwarzenberg:
Die Tschechen sind nicht europakritischer als die Deutschen oder Österreicher. Im Übrigen: Ich bin gegen ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Jeder, der einmal auf der Autobahn gefahren ist, weiß: Die Kriechspur führt zur Ausfahrt. Ich will nicht von der europäischen Hauptrichtung abweichen.

SPIEGEL: Sehen Sie die Hauptschuld für die Krise eigentlich bei den Banken oder bei den Politikern?

Schwarzenberg: Kein Zweifel, in der Politik. Man hat über Jahrzehnte wie selbstverständlich Defizithaushalte beschlossen. Das konnte nicht endlos gutgehen. Das haben die Banken natürlich ausgenutzt. Es gab in den letzten 30 Jahren kaum Politiker, die davor warnten, noch mehr Geld auszugeben.

SPIEGEL: Solche Politiker würden sofort abgewählt.

Schwarzenberg: Davor soll man doch keine Angst haben, das ist der Lauf der Dinge. Wer, um das nächste Wahlergebnis günstiger zu gestalten, wider sein besseres Wissen handelt, ist verantwortungslos.

SPIEGEL: Würde das Ende des Euro auch das Ende Europas bedeuten?

Schwarzenberg: Der Euro ist zwar ein wichtiges Projekt, aber er ist nur ein Instrument. Die Europäische Union ist als politisches Projekt gegründet worden und würde auch ohne den Euro überleben. Wir müssen einem sich vereinenden Europa demokratische Legitimation verleihen. Heute ist die EU eine sehr komplizierte Konstruktion. Brüssel hat alles an sich gezogen, was möglich war. Dadurch haben wir dort Kompetenzen, die wirklich besser bei den Regionen oder den Ländern aufgehoben wären. Wir müssen weg vom Europa der Kleingeister, wir müssen das Prinzip der Subsidiarität ernst nehmen und das Wesentliche gemeinsam entscheiden.

SPIEGEL: Bei den letzten Verhandlungen hat sich London einem europäischen Konsens verweigert. Europa ohne die Briten - geht das?

Schwarzenberg:
Ich glaube nicht, dass die Briten ausscheiden werden, sie haben wohl erkannt, dass sie in Brüssel einen Fehler gemacht haben.

SPIEGEL: Sie halten eine Kehrtwende David Camerons für möglich?

Schwarzenberg: Wir wären ohne England wesentlich ärmer. Wir brauchen eine gemeinsame Außenpolitik, eine gemeinsame Sicherheitspolitik, eine gemeinsame Energiepolitik. Eine gemeinsame Käsepolitik brauchen wir nicht.

SPIEGEL: Sie sagen, Sie fühlten sich durch und durch als Europäer. Woher kommt eigentlich diese tiefe Überzeugung?

Schwarzenberg:
Das liegt sicher auch an meiner Familiengeschichte. Im Positiven wie im Negativen hat Europa die Brüche meines Lebens bestimmt.

SPIEGEL: Wie meinen Sie das? Wie haben Sie die großen Veränderungen gespürt?

Schwarzenberg: Dafür sorgte meine Mutter. Sie rief mich, als ich zehn war, und sagte: Kary, du bist jetzt ein Teenager - sie war sehr englisch -, jetzt muss ich mit dir ernst reden. Ich muss dir sagen, wir werden das hier alles verlieren und wahrscheinlich auch das Land verlassen müssen.

SPIEGEL: Wie hat das damals auf Sie gewirkt?

Schwarzenberg: Ich erinnere mich noch genau an dieses Gespräch, weiß genau, in welchem Raum das im Schloss Čimelice gewesen ist. Ich habe damals das einzig Richtige getan: noch einmal meine Heimat erkundet. Ich bin im Sommer 1948 das Moldautal abgegangen, das heute leider im Stausee verschwunden ist. Ich habe als kleiner Stöpsel alles in mich aufgenommen.

SPIEGEL: Wie erlebten Sie die Flucht aus der Tschechoslowakei?

Schwarzenberg: Nicht tränenreich. Wir wussten, was uns bevorstand. Wir reisten an den Wolfgangsee zu meiner Großmutter. Nach Wien konnten wir nicht, das war sowjetische Besatzungszone.

SPIEGEL: Sie hatten als Student in München den Ruf eines Bohemiens.

Schwarzenberg: Aber bescheiden, mein weiser Onkel gab mir ein bescheidenes Taschengeld, so dass ich mich nicht allzu viel aufführen konnte. Schon bald engagierte ich mich politisch und kam - darauf bin ich bis heute stolz - auch mit den Stimmen des SDS in den AStA der Universität München, als Ostreferent.

SPIEGEL: Wie haben Sie eigentlich Václav Havel kennengelernt, den kürzlich verstorbenen Dissidenten und späteren Dichterpräsidenten?

Schwarzenberg:
Ich war 1985 auf Vorschlag des früheren österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky zum Leiter der Internationalen Helsinki-Föderation gewählt worden, die im KSZE-Bereich Verletzungen von Menschenrechten dokumentierte. Ich wurde bei meinen Reisen in die Tschechoslowakei immer von zwei Geheimdienstlern überwacht, wie auch Havel. Warum sollte ich ihn treffen und so ein Meeting für vier Polizisten organisieren? Aber Havel dachte anders, er ließ mir über einen gemeinsamen Freund mitteilen, dass er mich sehen wollte.

SPIEGEL: Konnten Sie die Bewacher austricksen?

Schwarzenberg: Wir verabredeten uns jedenfalls in einem extra lauten Lokal in der Nähe des Wenzelsplatzes. Da funktionierten Abhörgeräte nicht. Havel hat mich vom ersten Moment an durch seine
ungeheure Aufrichtigkeit, seine Suche nach der Wahrheit und seine große Be- scheidenheit beeindruckt, er kannte keine Angst. Und so haben wir verabredet, dass wir uns regelmäßig treffen. Ich bin dann mit meinem Auto häufig über die Grenze gefahren.

SPIEGEL: Gab es einen Wendepunkt der Geschichte, einen Moment, in dem Sie dann überzeugt waren, das kommunistische Regime sei bereits im Verfall?

Schwarzenberg:
Ja, ein kleines, aber einschneidendes Erlebnis, von dem Havel berichtete. Eigentlich banal. Er hatte überraschend Besuch von Jugendfreunden aus Mähren bekommen. Es war nichts zu trinken im Haus, worauf er das tat, was jeder normale Prager tut. Man holt den großen Krug aus der Küche, geht ums Eck ins Wirtshaus, lässt sich den Krug mit dem guten Bier vollschenken und bringt ihn zurück in die Wohnung, um die Gäste zu bewirten. Havel nahm also seinen Krug - und wurde unten am Treppenhaus von einem seiner Schatten aufgehalten, die da immer Dienst tun mussten. Der Geheime sagte zu Havel: "Wir haben das geklärt, ihre Besucher sind keine Dissidenten, geben Sie den Krug her, ich hol Ihnen schnell das Bier und bring's vorbei!" Als ich das 1988 hörte, war ich sicher: Jetzt geht das Regime unter. Der 29. Dezember 1989, als Václav Havel Präsident wurde, war dann der schönste Tag meines Lebens. Ich wusste: Jetzt ist dieser Alptraum in meinem Land endlich zu Ende. Ich bin jetzt wieder zu Hause. Ich habe das 20. Jahrhundert überlebt.

SPIEGEL: Was war das für ein Gefühl, als Sie einen Teil Ihrer Besitzungen zurückbekommen haben? Ein Triumph über die Geschichte?

Schwarzenberg:
Triumph nicht, nein, eher ein Gefühl von Dankbarkeit. Ich war ja überzeugt, dass das Regime irgendwann stürzt, aber dass ich etwas zurückbekomme, hätte ich nie gedacht.

SPIEGEL: Sie haben Ihre Bereitschaft erklärt, 2013 für das Präsidentenamt zu kandidieren.

Schwarzenberg: Ja, aber ich werde vermutlich unter "ferner liefen" landen. Das wird bei mir keine Verbitterung auslösen, ich freue mich auf meine Pensionierung. Ich möchte noch so gern reisen, einmal die Seidenstraße entlang - und dann, immer wieder, durch ganz Europa, diesen wunderschönen Kontinent.

SPIEGEL: Aber da jetzt kürzlich beschlossen wurde, den Präsidenten künftig direkt vom Volk wählen zu lassen, dürften Sie, populär, wie Sie sind, Chancen haben.

Schwarzenberg:
Geringe, ja, sonst würde ich mich ja nicht bewerben. Aber ich bin zu vielen zu unbequem.

SPIEGEL: Die Wahrhaftigkeit, die Transparenz der Politik, ist es das, was am Ende eines Lebens zählt?

Schwarzenberg: So Gott will, werde ich am Schluss sagen können: Du hast deine Talente nicht vergeudet. Du hast entsprechend der Verantwortung gelebt, die dir auferlegt worden ist.

SPIEGEL: Herr Minister, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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