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DIE ZEIT: Fürst Courage

Karel Schwarzenberg ist Citoyen und Aristokrat. Als tschechischer Außenminister will er verhindern, dass sein Land eine amerikanische Insel in Europa wird. Ein Porträt von Joachim Riedl, erschienen in DIE ZEIT am 12. April 2007

Karel Schwarzenberg ist Citoyen und Aristokrat. Als tschechischer Außenminister will er verhindern, dass sein Land eine amerikanische Insel in Europa wird.

Ein Porträt von Joachim Riedl, erschienen in DIE ZEIT am 12. April 2007


Wenn er nun in offizieller Mission seine alte Wahlheimat bereist, schlägt dem Mann, der einst ein Liebling der Stadt war, das Aggressionspotenzial der Wiener Boulevardzeitungen entgegen. Sie schäumen über die »arrogante Abgehobenheit« und »Sturheit« des neuen tschechischen Außenministers, der sich der österreichischen Fundamentalopposition gegen das grenznahe Kernkraftwerk im südböhmischen Temelin, einem Zankapfel seit vielen Jahren, nicht beugen mag.

»Jetzt bin ich in Wien eben der Atomfürst«, lacht Karel Schwarzenberg und will den »komischen Beleidigungen« keine sonderliche Bedeutung beimessen. »Einmal habe ich gute Presse, dann habe ich wieder schlechte Presse, verdient habe ich im Grunde beides höchst selten.«

Seitdem der aristokratische Freigeist, bislang ein ebenso gefragter wie unterhaltsamer Gesprächspartner, zu Beginn des Jahres seinen Amtssitz im Prager Palais Czernin bezogen hat, sieht er sich zunehmend kritischen Fragen im In- und Ausland ausgesetzt. »Was soll ich tun?«, sagt Schwarzenberg mit polyglotter Gelassenheit. »Ich bin der Verkaufsdirektor der Tschechischen Republik, und als solcher muss ich ein nicht ganz einfaches Koalitionsprodukt verkaufen.«

Das wird er etwa im April bei einer Reise nach Washington versuchen, wenn die soeben von der Prager Regierung beschlossenen Verhandlungen über das umstrittene amerikanische Raketenabwehrsystem beginnen, für das eine Radarstation von den Marshallinseln auf eine verwüstete, ehemalige Raketenbasis der Sowjets 80 Kilometer südwestlich von Prag verfrachtet werden soll (die eigentlichen Abschussrampen der zehn Abwehrraketen sollen in Polen stationiert werden). Seit Monaten sorgt der Plan für internationale Verstimmung. Russland protestierte heftig, misstraut den Beteuerungen, der Schutzschirm sei gegen potenzielle Geschosse aus Iran oder Nordkorea gedacht, und sieht in dem Projekt vor allem eine Beeinträchtigung seines eigenen militärischen Potenzials. Im Gegenzug warf Schwarzenberg dem Kreml die »Wiederbelebung imperialer Tendenzen« vor. Aber auch europäische Partnerländer in Nato und EU hegen Bedenken, allen voran Deutschland.

Schwarzenberg ist sich durchaus bewusst, wie heikel seine Mission im Verlauf der Debatte geworden ist. »Wenn wir uns auseinanderdividieren lassen«, sagt er, »wäre das katastrophal.« Zugleich sieht er, der selbst viele Jahre im Kleinkrieg gegen die kommunistischen Regime in Osteuropa verbrachte, im Denken seiner Kontrahenten allenthalben Klischeevorstellungen der Vergangenheit aufscheinen. »Bei uns herrscht nicht dieser virulente Antiamerikanismus wie in Westeuropa«, meint er und giftet: »Schließlich sind wir auch nicht mit amerikanischen Marshallplan-Geldern wieder hochgepäppelt worden und haben daher weniger Anlass, unsere Vorurteile zu pflegen.«

In Tschechien hingegen eint die Unterstützung für das amerikanische Abwehrsystem sogar politische Intimfeinde wie Präsident Václav Klaus und Václav Havel, der als Dichterpräsident zur moralischen Lichtgestalt des Landes wurde. Sogar die Grünen, die den liberalen Querdenker Schwarzenberg in die schwarz-grüne Regierung entsandt haben und weit weniger friedensbewegt als ihre Gesinnungsfreunde im Westen sind, laufen nicht Sturm gegen den Fußabdruck der Supermacht in der böhmischen Einöde.

Nach wie vor gelten die Vereinigten Staaten als verlässliche Schutzmacht, während sich viele Tschechen der europäischen Solidarität weniger sicher sind - zu stark wirkt noch immer das Trauma des Münchner Abkommens nach, bei dem die europäischen Großmächte einst die erste Prager Republik den Nazis zum Fraß vorgeworfen hatten. Im tschechischen Geschichtsbewusstsein der Beginn von 50 Jahren Unterdrückung.

Wohl auch vor diesem historischen Hintergrund wird Karel Schwarzenberg bei seinen Verhandlungen spezielle Sicherheitsgarantien der USA fordern, den »unbedingten Beistand« in den Unterstützungsverpflichtungen der Nato sieht er für sein Land nicht gewährleistet. »Es gibt aber auch gewisse US-Vorstellungen, die mir nicht liegen: Die wollen eine Art amerikanische Insel einrichten«, sagt der Außenminister. »Aber ich werde doch darauf beharren, dass wir hier in Europa sind. Über den Tisch ziehen lassen wir uns gewiss nicht.«

Recht unsanft ist der Fürst in der internationalen Realpolitik gelandet, bei der Millimeterarbeit an Vertragsklauseln und der diplomatischen Verbalakrobatik. Das vergällt dem eigenwilligen Staatsdiener zwar nicht seinen mitunter enigmatischen Humor, aber es entlockt dem 69-Jährigen doch einen Seufzer, den er fast jedes Mal, wenn er sich in offizieller Mission zu Wort meldete, nicht unterdrücken konnte: »Freilich, das Maul aufreißen wie früher kann ich jetzt nicht mehr.«

Solange er noch in Wien eher lustlos das Erbe seiner Ahnen verwaltete - oder was davon nach Kriegen, Revolution, Landreform und Enteignung übrig geblieben war, allein in Österreich immerhin Schlösser und 23000 Hektar Wald mit einem Schätzwert von heute 300 Millionen Euro -, war er ein stadtbekannter Flaneur im intellektuellen Milieu der Stadt, der gerne mit Künstlern, nachdenklichen Weltendeutern oder unversöhnlichen Nörglern die Nächte verbrachte. Die Hinterzimmer, die er frequentierte, waren die vom Kleinbürgermief befreiten Zonen im Nachkriegswien. Sein Schlosshotel im barocken Familienpalais wurde bald zum Hauptquartier des liberalen Flügels der Christdemokraten, sein Vermögen half bei der Gründung des ersten modernen Magazinverlages des Landes. Eine eigene politische Funktion, mit der er stets liebäugelte, blieb ihm aber durch seine Herkunft verwehrt. »Mit dem Namen, nie«, beschieden die Granden der konservativen Volkspartei dem gläubigen Katholiken. Mit ausgeprägtem Hang zum Understatement nannte sich der Großgrundbesitzer »Gast- und Forstwirt«, kultivierte seine unverwechselbaren Auftritte im zerknitterten Jägerleinen und knüpfte ein weltweites Netz von Beziehungen. Ganz aufgeklärter Traditionalist, der vergnüglich die Widersprüche seiner Biografie verinnerlicht hat, Fürst und Citoyen, alter Adelssinn und republikanisches Gewissen, Bummelstudent und Wissenshunger, scherzte er über sich: »Ich bin der Direktor des Museums, dessen Inhalt ich selber bin.«

Die große Lebenswende kam, als der sozialdemokratische Bundeskanzler Bruno Kreisky den geborenen Prager, der 1948 mit seiner Familie vor den kommunistischen Machthabern geflohen war, zum Präsidenten der Internationalen Helsinki-Föderation für Menschenrechte vorschlug. Es war eine Funktion wie maßgeschneidert für den aktivitätshungrigen Böhmen, der nie seine tschechoslowakische und schweizerische Staatsbürgerschaft (das Zürcher Bürgerrecht ist ein altes Familienprivileg der Schwarzenbergs) aufgegeben hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er nur über verschwiegene Kanäle die Dissidenten rund um die Charta 77 und den Schriftsteller Havel unterstützen können. Nun konnte ihm das Prager Regime nicht mehr die Einreise verweigern. Er tauchte bei politischen Prozessen als Beobachter auf, schmuggelte das Überlebenswerkzeug für die Arbeit im politischen Untergrund und wurde zu einer zentralen Anlaufstelle für die Widersacher des kommunistischen Machtkartells. Der »Genosse Fürst«, wie Wolf Biermann den unermüdlichen Emissär der Demokratie einmal anerkennend nannte, wurde so zu einem der Geburtshelfer der samtenen Revolution von 1989. Der Nachfahre von Feldherren und Staatsmännern hört es nicht gerne. »Andere haben doch viel mehr getan. Ich war nur ein kleines Rad.« Zumindest hatte er sich selbst einen Dienst erwiesen. Als der Fürst zum ersten Mal wieder das väterliche Schloss Orlik besuchte, in dem er aufgewachsen war, und mit den Gefährten seiner böhmischen Kindertage im Gasthaus ein Bier auf die neue Freiheit trank, »da habe ich plötzlich gewusst, ich bin wieder daheim - endlich«.

In den Jahren der klandestinen Diskussionen festigte sich auch die enge persönliche Freundschaft zu Václav Havel. Wenige Stunden nach seiner Wahl zum Präsidenten am 21. Dezember 1989 übertrug das neue Staatsoberhaupt seinem Mitkämpfer beim Mittagessen das Amt des Stabschefs auf der Prager Burg. Zum ersten Mal musste sich Schwarzenberg nun saftige Formulierungen verkneifen. Alles war Staatsräson, doch noch heute schwärmt Schwarzenberg vom »Charme der Revolution«. Der weltläufige Aristokrat und der prinzipienstrenge Dissident ergaben ein kongeniales Paar. Havel genoss die Hochachtung der Welt, Schwarzenberg hatte das Telefonbuch mit den Nummern der Entscheidungsträger. Der Heimkehrer leitete zwei Jahre lang den Daheimgebliebenen im internationalen Umgang an, er säuberte die Staatskanzlei von kommunistischen Hinterlassenschaften im Beamtenapparat, und er half mit, die schmerzhafte und wohl vermeidbare - wie Schwarzenberg heute meint - Trennung der beiden Staatsteile Tschechien und Slowakei zu bewältigen.

Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Stab des Präsidenten blieb Schwarzenberg ein unbequemer Zeitgenosse, der sich bereitwillig in die vielen Händel der tschechischen Innenpolitik verstricken ließ: »Irgendwo habe ich immer mitgemischt.« Seine Wochenzeitschrift Respekt deckte Korruptionsskandale auf, er selbst initiierte ein kurzlebiges, überparteiliches Bürgerforum, in dem viele schon eine lang erwartete Havel-Partei sehen wollten. »Wir sind angefressen«, verkündete er damals rebellisch, »das Fehlen jeder öffentlichen Moral ist wirklich das Hauptproblem unseres Landes.« Schließlich bewarb er sich 2004 als Kandidat eines kleinen liberalen Parteienbündnisses um einen Sitz im Senat. Sein Wahlkampf im gediegenen Wohn- und Diplomatenbezirk Prag 6 eröffnete der krasse Außenseiter mit einer Rundfahrt in einem rosa gestrichenen Panzerspähwagen. Den Großteil seiner Überzeugungsarbeit bestritt er dann bei nächtlichen Wirtshaustouren durch das Viertel. Er wurde in die kontrollierende Kammer des Parlaments gewählt, »unter Belastung meiner Leber«, wie der Überraschungssieger erzählt.

Seinen bislang letzten Karrieresprung an die Spitze des Außenministeriums kommentiert Schwarzenberg lapidar: »Die haben eben jemanden gebraucht, der den Job kann.« Doch im komplizierten Prager Machtgeflecht kommt dem republikanischen Aristokraten, einem passionierten Verfechter der europäischen Integration, eine heikle Aufgabe zu. Während die Demokratische Bürgerpartei ODS von Präsident Václav Klaus und Premier Mirek Topolánek, die dominierende Partei der Koalition, zunehmend in nationalkonservative Positionen abdriftet, wollten die Grünen vor allem verhindern, dass Euroskepsis zur Regierungsdoktrin wird. In dem monatelangen Tauziehen, das dem Bündnis vorausging, stemmte sich vor allem Präsident Klaus gegen den mitteleuropäischen Universalpatrioten aus altem Geblüt. Er stehe »mit einem Bein in Österreich«, so der Vorwurf, und könne daher tschechische Anliegen nicht überzeugend vertreten.

Gemeint war aber wohl Schwarzenbergs differenzierte Kritik am europäischen Einigungsprozess. Einerseits verlangt Schwarzenberg nach einer großen Deregulierungsoffensive, die all »die peinlichen Vorschriften, die heute die Bürger vergraulen«, eindämmt, anderseits fordert er einen verbindlichen Vertragstext, »den bitte schön aber alle auch verstehen können müssen«. Darin müssten »verlässlich wie ein Fahrplan« Schritt für Schritt die großen Elemente der Integration festgelegt sein. »Wenn wir uns aber weiter verzetteln«, sagt Schwarzenberg, »endet Europa als eine Art Urlaubspension der Welt, ein Reservat, das die Inder dann gern anschauen kommen.«