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RBB: "Getrennte Staaten - Tschechien und Slowakei"

Ende 1992 teilte sich die Tschechoslowakei in Tschechien und die Slowakei. War das, auch aus dem zeitlichen Abstand betrachtet, eine kluge Entscheidung? Das Interview mit dem tschechischen Minister für Auswärtige Angelegenheiten Karel Schwarzenberg gesendet am 2.10.2007 im Inforadio RBB.

Deutschland vor dem 3. Oktober, dem Tag der deutschen Einheit. Erinnerung an zwei Staaten, die nach dem Ende des Kalten Krieges wieder einer wurden. Während aber die Deutschen wieder zusammen gingen, lösten sich andere europäische Staaten wieder auf. Bis heute ein drängendes Problem im Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens. Ende 1992 teilte sich die Tschechoslowakei in Tschechien und die Slowakei. War das, auch aus dem zeitlichen Abstand betrachtet, eine kluge Entscheidung?

Karel Schwarzenberg, tschechischer Außenminister, befragt von Alexander Krahe

Interview des tschechischen Ministers für Auswärtige Angelengenheiten Karel Schwarzenberg für das Inforadio RBB, gesendet am 2.Oktober 2007


Das Interview im Wortlaut:

 

 

Alexander Krahe: 14 Jahre ist es also her, dass sich die Wege der Tschechen und Slowaken getrennt habe. War das auch aus dem heutigen zeitlichen Abstand betrachtet eine kluge Entscheidung?

 

 

Karel Schwarzenberg: Es war eine unumgängliche Entscheidung, weil es entstand eine paradoxe Situation, weil weder in der einen Teilrepublik noch in der anderen war die Mehrheit der Bevölkerung für eine Teilung. Aber die Wahlergebnisse fielen so aus, dass Parteien völlig verschiedener Ausrichtungen die Wahlen gewonnen haben. Retrospektiv können wir sagen, positiver Erfolg war, dass die gegenseitigen Komplexe verschwunden sind. Die Tschechen glauben nicht mehr, dass die slowakische Wirtschaft ausschließlich auf Überweisungen aufgebaut wurde, und die Slowaken glauben nicht mehr, dass sie sozusagen in einer bevormundenden Art von oben her behandelt [wurden] als die jüngeren Brüder von Prag. Dieser Komplex ist jetzt verschwunden, und das ist zweifellos ein gewaltiger Vorteil. Wir müssen auch verzeichnen, den in den letzten Jahren gewaltigen wirtschaftlichen Aufstieg in der Slowakei. Die negativen Folgen sind, würde ich sagen: Solange wir in einem gemeinsamen Staat waren, waren wir gezwungen, auch immer die Probleme des anderen zu sehen, d.h. in beiden Ländern ist die Tendenz zur Nabelschau etwas stärker geworden. Zweitens, es gibt gar kein Zweifel, dass zwei kleine Länder geringeren Einfluss haben, als ein mittelgroßes Land. Das ist nun einmal so wie in der Wirtschaft auch in der Politik der Fall, ich meine, auch die größere Bevölkerungszahl etc. spielt - wie in der Wirtschaftskraft - eine gewisse Rolle. Das Verhältnis der beiden Völker hingegen ist so gut, wie es noch nie war, und auch zwischen den beiden Regierungen gibt es, obwohl sozusagen die eine in den böhmischen Ländern ist mehr rechts, in der Slowakei ist sie mehr links ausgerichtet - funktioniert es sehr gut.


Krahe: Nun, sprechen wir über Nationalstaaten, die damals neu entstanden sind und heute wissen wir, die Europäische Union eint sie dann doch. Welche Bedeutung bleibt denn bei den Nationalstaaten aus ihrer Sich? Nehmen wir das politische Lebensgefühl der Tschechen und der Slowaken.

Schwarzenberg: Schauen Sie, ich glaube für den Normalbürger werden die Nationalstaaten noch zumindest für eine Generation, die wesentliche Einheit bleiben. Wir wissen alle nicht, wie stark sich die Europäische Union sozusagen föderalisieren wird, wie weit sich die einzelnen Staaten asymptotisch annähern werden. Das liegt noch in der Zukunft. Ich bin kein Prophet, traue mir darüber auch keine Aussage, obwohl natürlich jedes Bürgers Leben in der Europäischen Union zunehmend stärker von den Brüsseler Entscheidungen beeinflusst wird. Vorderhand ist doch einmal der wesentliche Rahmen für jeden, ob es ein Spanier, ein Portugiese ist, Schwede oder Italiener, bleibt zunächst einmal die Europäische Union die übergeordnete Autorität und nicht die unmittelbare.


Krahe: Tschechen und Slowaken, wir haben über die Trennung Ende 1992 gesprochen. Mittelfristig - wird man wieder zusammengehen? Was denken Sie?

Schwarzenberg: Ich glaube nicht, dass wir wieder einen gemeinsamen Staat schaffen werden, aber ich nehme an, dass wir genauso fröhlich nebeneinander leben werden, wie zum Beispiel Belgien und Luxemburg oder die Niederlande.