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Ansprache des Ministerpräsidenten Bohuslav Sobotka aus Anlass des Jahrestags des 17. Novembers

Der Ministerpräsident Bohuslav Sobotka erinnerte heute an das Vermächtnis des 17. Novembers und ehrte den Tag des Kampfes für Freiheit und Demokratie im Rahmen einer Gedächtnisfeier am Hlávka-Studentenwohnheim, wo er zu diesem bedeutenden Tag die folgende Ansprache hielt:

Meine Damen und Herren,

der siebzehnte November schrieb sich in die Geschichte unseres Staats gleich zweimal dramatisch ein. Im Jahre 1939 ermordeten die nazistischen Okkupanten den Studenten Jan Opletal und den Arbeiter Václav Sedláček. Die anschließenden Demonstrationen führten dann zur Schließung der tschechischen Hochschulen, viele Studentenvertreter wurden hingerichtet oder in Konzentrationslager verschleppt. Fünfzig Jahre später verwiesen wir in der Samtenen Revolution von 1989 gerade auf diesen unbeugsamen Willen der Menschen im Kampf gegen die Totalität und auf den Mut der Studenten, die Freiheit und die Menschen- und Bürgerrechte zu verteidigen.

Der siebzehnte November ist ein Tag, der die Kraft dieser Gedanken bestätigt. Er bekräftigt, dass die Freiheit und der Rechtsstaat, aber auch Humanität, Achtung und Respekt vor der Meinung des Anderen, Grundsteine unserer Republik sind. Unsere Gesellschaft konnte diese Werte, dieses Erbe der Tschechoslowakei des Präsidenten Masaryks, gegen die destruktive Kraft zweier totalitärer Regime verteidigen. Den Glauben an eine gerechte, solidarische und freie Gesellschaft konnten uns weder das nazistische Morden noch Jahrzehnte der kommunistischen Willkür rauben. Immer schafften wir es, wieder aufzustehen und diese Werte erneut laut einzufordern.

Wir tun dies auch am heutigen Gedenktag. Mit der ungekannt großen Migrationswelle kommt zu uns nach Europa der Schatten des Kriegs, wie ihn die große Mehrheit unserer Gesellschaft nur noch aus Erzählungen kennt. Erneut hören wir Geschichten von Menschen, die ihre Heimat verloren, um die Hoffnung auf ein würdiges Leben in ihrem Heimatland gebracht wurden und Verwandte und die Mehrheit ihres Vermögens verloren. Auf diese Schickale müssen wir mit Mitleid und Solidarität, aber auch mit Vernunft reagieren, und dies schon allein aus Respekt vor unserer eigenen Geschichte.

Die Migrationswelle ruft aber auch bei einer Reihe unserer Mitbürger Ängste hervor. Dies missbrauchen Populisten und solche Personen, die politisch davon leben, dass sie Intoleranz und Hass verbreiten. Als Vertreter der Demokratie dürfen wir diese alltäglichen Befürchtungen der Menschen nicht bagatellisieren. Wir müssen sie wahrnehmen und mit realen und pragmatischen Lösungen der derzeitigen Krise antworten. Dies erfordert ein gemeinsames Herangehen, da kein europäischer Staat die derzeitige Krise isoliert bewältigen kann.

Die Lösung besteht in einer Beendigung des Migrationschaos, der Wiederherstellung funktionsfähiger äußerer Grenzen der Europäischen Union und einer friedlichen Stabilisierung der Regionen in ihrer unmittelbaren Nähe. Europa benötigt in dieser Hinsicht sehr viel mehr Entschiedenheit, dazu Aufrichtigkeit, sofern es um eine Benennung der Probleme geht, die die oft unbewältigte Integration der vorhergehenden Einwanderungswellen aus der muslimischen Welt in die europäische Mehrheitsgesellschaft mit sich brachte.  

Die Ursache der heutigen Migrationskrise sind vor allem die von Kriegen destabilisierten und zerfallenen Staaten, in denen ihre Einwohner eine Lebensperspektive verloren haben. Wenn wir diese Krise lösen wollen, sollten der Frieden in Staaten wie Syrien, Libyen und Irak und deren wirtschaftliche und soziale Erneuerung unsere erstrangige Aufgabe sein.

Der diesjährige zweifache brutale Angriff religiöser Fanatiker in Paris brachte uns erneut in Erinnerung, was für ein gefährliches Phänomen des 21. Jahrhunderts der Terrorismus ist. Die Demokratie muss in der Konfrontation mit der rücksichtslosen Gewalt ihre Kraft beweisen, und das vereinte Europa ist verpflichtet, seinen Bürgern Sicherheit und Frieden zu garantieren. Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen und müssen auf unseren demokratischen und liberalen Werten einschließlich Gleichheit und Toleranz bestehen. Die Niederlage der Terroristen aus dem Islamischen Staat muss eine Priorität der gesamten internationalen Gemeinschaft sein.

Lassen wir uns nicht manipulieren. Auch wenn die kürzlich verübten terroristischen Angriffe in Paris in der Zeit der Migrationskrise erfolgten, müssen wir uns bewusst machen, dass die Morde von gut organisierten islamischen Radikalen ausgingen. Unsere Empörung muss sich gegen sie richten, keinesfalls gegen die Flüchtlinge, die oft gerade von religiöser und ethnischer Gewalt durch vollkommen gleiche mörderische Fanatiker aus ihrer Heimat vertrieben wurden.   

Ich bin davon überzeugt, dass die Demokratie und der Rechtsstaat ständig und mutig verteidigt werden müssen, so wie dies unsere Vorfahren im November 1939 taten. Dies bezieht sich auch auf einen so unanzweifelbaren Wert wie die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, in die wir dank des Novembers 1989 zurückkehren konnten. Ein autoritäres Regime und eine Isolierung unseres Lands außerhalb der EU wären nämlich gegen die existentiellen Interessen unseres Volks und würden einen wirtschaftlichen und sozialen Zerfall und ganz gewiss eine Demontage der heutigen Freiheit und der Bürgerrechte bedeuten. 

Sechsundzwanzig Jahre nach der Samtenen Revolution sollten wir nicht den Mut verlieren, Demokraten zu sein. Angst und Panik dürfen nicht unser Denken und unser Herz beherrschen.

Ich danke Ihnen, die sie heute die Zeit gefunden haben, den siebzehnten November in Erinnerung zu bringen. Ich bin überzeugt, dass Sie, so wie ich, stolz auf sein Vermächtnis und auf die von ihm symbolisierten Werte sind.

Regierung der Tschechischen Republik (c)