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Ministr zahraničí Tomáš Petříček
Photo: © MZV/MFA
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Für tschechischen Außenminister profitieren nicht alle von Integration

 

DER STANDARD | 18.1.2019 | Autor: Gerald Schubert

Dreißig Jahre nach der Samtenen Revolution gebe es für die Einheit Europas noch einiges zu tun, meint der Sozialdemokrat Tomáš Petříček.

STANDARD: Heuer jährt sich zum dreißigsten Mal die Samtene Revolution, das Ende der kommunistischen Diktatur in der ehemaligen Tschechoslowakei. Welche Erinnerungen haben Sie an 1989?

Petříček: Ich war damals erst acht Jahre alt, aber ich habe mitbekommen, wie sich die Atmosphäre ändert. Überall wurde diskutiert, auch bei uns zu Hause oder im Fernsehen. Einige Dinge, an die ich gewohnt war, waren plötzlich anders. In der Schule etwa sagte man auf einmal "Frau Lehrerin" statt "Genossin Lehrerin". Auch wir Kinder haben gespürt, dass da etwas Grundsätzliches passiert.

STANDARD: Gab es auch Lehrer, die plötzlich nicht mehr da waren?

Petříček: Nein, in meinem Umfeld nicht. Die Lehrerin blieb dieselbe, der Eishockeytrainer auch. Aber es gab für uns keine Wehrübungen mehr! Das nahmen wir wohl als größte Neuerung wahr.

STANDARD: Es gibt heuer noch weitere Jubiläen: 20 Jahre Nato-Beitritt, 15 Jahre EU-Beitritt. Wo steht Tschechien heute?

Petříček: Die Hoffnungen wurden bereits 1989 artikuliert: Rückkehr nach Europa und Eingliederung in die euroatlantischen Strukturen. 1999 und 2004 wurde dies Realität, das waren wichtige Meilensteine. Wir müssen aber weiterhin dafür sorgen, die Hoffnungen der Menschen nicht zu enttäuschen. Beim Lohnniveau etwa gibt es noch große Unterschiede in Europa. Wenn wir wollen, dass Europa kohärenter wird und dem Druck aus anderen Teilen der Welt standhalten kann, dann müssen wir uns auch um mehr Solidarität bemühen.

STANDARD: Wen sprechen Sie da konkret an? Die heimische Politik?

Petříček: Zum Teil ist das natürlich unsere eigene Hausaufgabe. Es ist aber auch eine Frage der europäischen Sozialpolitik. Europa betrachtet viele Regionen eher desinteressiert. Auch den Brexit sehe ich teilweise als Konsequenz von Fehlern, die die EU auf diesem Gebiet gemacht hat. Von Globalisierung und Integration profitieren nicht alle, Unterschiede gibt es zwischen und auch innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten.

STANDARD: Tschechien sieht sich als enger Partner Großbritanniens. Was bedeutet der Brexit für Sie? Und wie kann es nun weitergehen?

Petříček: Der Ball liegt jetzt bei Großbritannien. Es ist gut, dass die EU-27 es geschafft haben, in den schwierigen Verhandlungen einig zu bleiben, aber der Brexit selbst ist eine Niederlage für beide Seiten. Ich habe keine Kristallkugel, ich weiß nicht, was die nächsten Wochen bringen. Wir sollten aber die Beziehungen nicht so beschädigen, dass wir in wichtigen Bereichen wie etwa der Sicherheitspolitik nicht mehr zusammenarbeiten können. Großbritannien verlässt die EU, aber nicht Europa. Für Tschechien wird es ein wichtiger Partner bleiben, auch innerhalb der Nato.

STANDARD: Bei Ihrem Treffen mit Außenministerin Karin Kneissl kam auch die umstrittene Indexierung der Familienbeihilfe zur Sprache. Auch Tschechen, die in Österreich arbeiten und Kinder in Tschechien haben, sind davon betroffen. Was ist Ihre Position?

Petříček: Für Tschechien ist das schon ein Thema. Wir wollen jetzt aber auf das Ergebnis der rechtlichen Schritte auf europäischer Ebene warten, statt uns im Rahmen der bilateralen Beziehungen darum zu kümmern. Genau deshalb haben wir in der EU solche Mechanismen geschaffen. Sie haben uns auch in anderen Fällen geholfen, Streitigkeiten beizulegen.

STANDARD: Nach wie vor umstritten ist auch das Thema Migration von außerhalb der EU. Tschechien und andere Länder wollten bei der Verteilung von Flüchtlingen nicht mitmachen. Was sagen Sie den Österreichern, die das kritisieren?

Petříček: Solidarität sollte ein Grundprinzip sein, aber die einzelnen Staaten sollten entscheiden können, auf welche Art sie die diese Solidarität umsetzen. Ich bin froh, dass sich die Migrationsdebatte während der österreichischen Ratspräsidentschaft in diese Richtung entwickelt hat. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir bei der Lösung des Problems helfen wollen – durch Unterstützung der Menschen in ihren Herkunftsländern oder durch den Schutz der Außengrenzen. Die Debatte wird aber leider sehr emotional geführt und spaltet unsere Gesellschaften.

STANDARD: Die Visegrád-Gruppe – also Tschechien, die Slowakei, Polen und Ungarn – trat in der Flüchtlingspolitik stets einheitlich auf. In vielen anderen Bereichen aber sind die V4 längst nicht so einig, wie es oberflächlich scheinen mag. Welche Rolle spielt Visegrád für Tschechien?

Petříček: Von einigen Partnern wird die Visegrád-Gruppe im Zusammenhang mit der Migrationsdebatte negativ wahrgenommen. Dessen sind wir uns bewusst. Als regionale Gruppe innerhalb der EU wollen wir uns aber auch bei anderen Themen einbringen, etwa bei der Verkehrsinfrastruktur. Das ist auch für Österreich und Deutschland gut, denn die Zug- und Autobahnverbindungen enden ja nicht an den Grenzen der Visegrád-Staaten. Aber es stimmt, auch innerhalb der V4 haben wir nicht immer gemeinsame Interessen. Für uns ist Visegrád daher Teil unserer Mitteleuropapolitik, aber nicht ihr einziger Fokus.

STANDARD: In Europa wird heute viel über den Einfluss Russlands diskutiert. Welche Rolle spielt diese Frage in Tschechien?

Petříček: Voriges Jahr war der 50. Jahrestag der Niederschlagung des Prager Frühlings durch Truppen des Warschauer Pakts. Das erinnert daran, dass unsere Beziehungen zu Russland in der Vergangenheit nicht leicht waren – und auch heute nicht leicht sind. Ich bin froh, dass wir in der EU einen gemeinsamen Standpunkt einnehmen und mit Sanktionen auf die russische Aggression auf der Krim und in der Ostukraine reagieren. Man muss mit Russland aber auch reden, einen Dialog über gemeinsame Interessen führen. Sonst verhärten sich die Positionen weiter.

STANDARD: Sie sind Mitglied einer Minderheitsregierung, die von den Kommunisten (KSČM) toleriert wird. Von diesen werden Sie wegen Ihrer Standpunkte häufig angegriffen. Wie gehen Sie damit um?

Petříček: Die Kommunisten gehören nicht der Regierungskoalition an. Für mich ist das wichtig, zumal sich die außenpolitische Position Tschechiens von jener der KSČM stark unterscheidet. Die Regierung unterstützt die Mitgliedschaft in Nato und EU – unabhängig von Entscheidungen in anderen Bereichen.

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