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Photo: Konferenz „Arbeitskräftemobilität in der EU – wie geht es weiter?“
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Projekt der Wirtschaftsdiplomatie über Arbeitskräftemobilität in der EU brachte aufgeregte Debatte von Brüssel nach Wien

Im Hinblick auf die stattfindende Diskussion über die Entsendung von Arbeitskräften in der EU, die schon seit zwei Jahren Europa teilt, und die wachsende Zahl an Streitfällen zwischen österreichischen Institutionen und tschechischen Firmen in Zusammenhang mit der Anwendung des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes (LSD-BG) veranstaltete  die Botschaft der Tschechischen Republik in Österreich in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission in Wien und dem Informationsbüro des Europäischen Parlaments am 19. Oktober 2017 eine internationale Konferenz zum Thema:  „Arbeitskräftemobilität in der EU – wie geht es weiter?“  Ziel dieses mit finanzieller Unterstützung des Außenministeriums der Tschechischen Republik verwirklichten Projekts der Wirtschaftsdiplomatie war es, tschechischen Firmen, Interessenvertretungen und Institutionen aktuelle Informationen zur derzeit stattfindenden Revision der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern und die diesbezüglich neuen Regeln für den internationalen Straßenverkehr in der EU zu vermitteln. Ein weiteres Ziel dieser intensiv verfolgten Veranstaltung war das Aufzeigen der herrschenden Bedingungen für die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen und die Entsendung von Arbeitskräften nach Österreich.

Über gegenwärtig wirksame und künftig geplante Regeln für entsandte Arbeitskräfte diskutierten als Hauptrednerinnen die Abgeordneten zum Europäischen Parlament und Mitglieder des Ausschusses des Europäischen Parlaments für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL) Martina Dlabajová (ANO/ALDE) und Terry Reintke (Die Grünen) sowie Elisabeth Werner, Generaldirektion für Mobilität und Verkehr der Europäischen Kommission. An der anschließenden Podiumsdiskussion beteiligten sich der Generalsekretär des Speditionsverbands ČESMAD Bohemia V. Hromíř, der Chef der Bundessparte Transport und Verkehr der WKO A. Klacska), Vertreter tschechischer und österreichischer Gewerkschaftsvereinigungen (der stellvertretende Vorsitzende der Böhmisch-Mährischen Konföderation der Gewerkschaftsverbände ČMKOS V. Samek und der Leiter der österreichischen Gewerkschaft Verkehr VIDA K. Delfs) sowie Vertreter des Ministeriums für Arbeit und soziale Angelegenheiten der Tschechischen Republik und Österreichs (die Direktorin der Abteilung EU und internationale Zusammenarbeit Z. Zajarošová und die Sektionschefin Arbeitsrecht A. Ritzberger-Moser). Die Zusammensetzung der Teilnehmer aus Tschechien und Österreich ermöglichte die Präsentation der nationalen Positionen beider Länder, zeigte Prioritäten auf, aber auch Befürchtungen, mit denen sie in die Debatte über die Zukunft des freien Dienstleistungsverkehrs in Europa gehen. Die Konferenz rief großes Interesse in der Fach- und breiteren Öffentlichkeit hervor. Unter den ungefähr hundert Teilnehmern befanden sich Vertreter tschechischer und österreichischer staatlicher Institutionen (u.a. des Ministeriums für Arbeit und soziale Angelegenheiten und des Verkehrsministeriums), der diplomatischen Vertretungen (abgesehen von der Botschaft der Tschechischen Republik in Wien nahmen Diplomaten aus der Slowakei, Polen, Ungarn, Slowenien und Bulgarien teil), ferner tschechische, aber auch etwa ungarische, slowenische und bulgarische Firmen mit Tätigkeit in Österreich, Mitglieder ihrer Interessenvertretungen sowie österreichische Anwaltskanzleien, die für diese Firmen in Österreich eintreten.

Martina Dlabajová äußerte in ihrem Eingangsstatement Bedenken bezüglich der Tendenz zu wachsenden Schutzvorkehrungen auf dem europäischen Binnenmarkt und sparte nicht mit Kritik an den neuen Vorschlägen zu den Entsenderegeln. Diese Regeln berücksichtigen ihrer Meinung nach nicht ausreichend das Gleichgewicht zwischen einer Wahrung des freien Dienstleistungsverkehrs und dem Schutz der Arbeitnehmerrechte: „Entsandte Arbeitskräfte stehen für die Grundprinzipien der EU, aufgrund derer sich die Mitgliedsstaaten für einen EU-Beitritt entschieden haben. Die Verschärfung der Legislative und das künstliche Vergleichen von Bedingungen lösen die Probleme am Arbeitsmarkt nicht. Im Gegenteil, dies führt zu einer Abschottung der nationalen Märkte und hemmt die Konkurrenzfähigkeit der EU.“ Unsere Priorität muss laut Dlabajová die Findung eines gesamteuropäischen Zugangs  sein, der die Befürchtungen beider Seiten berücksichtigt. Gerade Österreich sieht sie in der Rolle eines Vermittlers zwischen Ost und West. Ihre Kollegin aus dem Europäischen Parlament Terry Reintke hingegen begrüßt die Neugestaltung der Regeln. Angesichts der wachsenden Ungleichheit in der EU ist es aus ihrer Sicht nötig, in Sachen Beschäftigung einem Zweiklassensystem in der Ländern der EU entgegenzutreten. Eine Revision der Entsenderichtlinie sollte daher die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit umsetzen, die soziale Absicherung  der entsandten Arbeitskräfte sicherstellen und Fragen der Zusammenarbeit von Firmen mit Subunternehmern klären. Mit der tschechischen Europaabgeordneten Dlabajová war sie sich nichtsdestoweniger einig, dass man sich primär auf die Einforderung der Regeln konzentrieren soll, die Missbrauch auf dem Arbeitsmarkt verhindern.

Außer über die Revision der Entsenderichtlinie und der Mindestlohngesetze finden parallel Diskussionen über das kürzlich vorgestellte Mobilitätspaket statt. Dieses Paket beinhaltet auch soziale Aspekte, einschließlich eines Entwurfs einer spezifischen Regelung für die Entsendung von Fahrern im internationalen Verkehr. Die neuen Regeln des Mobilitätspakets wurden von E. Werner von der Generaldirektion für Mobilität und Verkehr der Europäischen Kommission vorgestellt. Werner betonte in ihrem Beitrag, dass es im Paket um eine kohärente und einheitliche Regelung des Verkehrssektors gehe, die zur Steigerung der Konkurrenzfähigkeit Europas beitragen und keineswegs neue administrative Belastungen für die europäischen Frächter bringen soll. In der anschließenden Diskussionsrunde entspann sich eine aufgeregte Debatte über die Vorschläge der Europäischen Kommission in Brüssel, die ideologische Spaltung zwischen westlichen und östlichen Mitgliedsstaaten, aber auch in beträchtlichem Maße über die gegensätzliche Haltung der Firmenvertreter bzw. Arbeitgeber einerseits und der die Interessen der Arbeitnehmer vertretenden Gewerkschafter andererseits. Die Vertreter der Wirtschaftskammern und Speditionsverbände kritisierten die überbordende Bürokratie und Regulierungswut, mit denen sich Unternehmen in Europa auseinandersetzen müssen und die aus ihrer Sicht deren Konkurrenzfähigkeit in der Welt bedroht. Sie sprachen sich für eine Herausnahme des internationalen Straßenverkehrs aus dem Gültigkeitsbereich der Entsenderichtlinie aus. Für A. Klacska von der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) ist die Anwendung der Regel eines gleichen Lohns, inkl. Maßnahmen im Rahmen der Kollektivverträge, die für entsandte Arbeitskräfte gelten, gänzlich inakzeptabel und in der Praxis schwer durchführbar. V. Hromíř vom Speditionsverband ČESMAD merkte an, dass ihm im Hinblick auf die westlichen Märkte die sog. Nomadenfahrer und die Kabotage der größte Dorn im Auge seien. Eine pauschale Verschärfung der Regeln anstelle einer Effizienzsteigerung bei ihrer Einforderung würde Fahrer nur dazu motivieren, auf selbständige Gewerbetreibende umzusatteln, so dass sich die Entsenderegeln auf sie nicht beziehen würden. Auf diese Praktiken machte ebenso K. Delfs von der österreichischen Gewerkschaft Verkehr VIDA am Beispiel von Kontrollen von Fahrern aus Mittel- und Osteuropa auf österreichischem Bundesgebiet aufmerksam. Z. Zajarošová vom Ministerium für Arbeit und soziale Angelegenheiten der Tschechischen Republik konterte mit der Bemerkung zu einer kürzlich durchgeführten Präventivmaßnahme des Ministeriums für Arbeit und soziale Angelegenheiten und des Verkehrsministeriums der Tschechischen Republik an den Grenzübergängen Rozvadov und Hatě. Hierbei wurde festgestellt, dass die Fahrer aus den neuen Mitgliedsstaaten der EU mehrheitlich ihre Arbeitverträge in mehreren europäischen Sprachen vorweisen konnten, Fahrer aus Deutschland, Österreich, Italien und anderen Ländern aber über diese Entsendeverpflichtungen nicht einmal ansatzweise Bescheid wussten. Auf dem Gebiet der westlichen Nachbarn würden laut Zajarošová ausschließlich Fahrer aus dem „Osten“ kontrolliert, und die Entsenderegeln würden von den westlichen Staaten für den Schutz ihrer eigenen Märkte missbraucht. Dies fand die Zustimmung zahlreicher Diskutanten im Plenum, die auf die komplizierten Rechts- und Formalvorschriften in Österreich verwiesen, die ausländische Gewerbetreibende und Klein- und Mittelbetriebe gegenüber großen Unternehmen nicht nur im Verkehrswesen, sondern auch in der Bauwirtschaft klar benachteiligten.

Zum Schluss appellierte Martina Dlabajová, dass die Findung eines ausgewogenen Kompromisses zwischen freiem Dienstleistungsverkehr und dem Schutz der Arbeitnehmerrechte schlicht eine Notwendigkeit sei. Die aktuelle Diskussion zeigte, dass ein solcher Kompromiss noch nicht in Reichweite ist. Diskutiert werden sollte nicht bloß über die Höhe der Löhne der Arbeitnehmer, sondern es sind die Interessen der Firmen stärker zu berücksichtigen und ein Umfeld zu schaffen, das unternehmerische Aktivitäten nicht verkompliziert und die Konkurrenzfähigkeit der Firmen nicht bedroht. Laut Dlabajová ist es notwendig, sachlich und auf Basis von Fakten anstatt ideologisch zu diskutieren. Anstelle einer Verschärfung der Regeln für alle ist die effektivere Durchführung von Kontrollen, die Einforderung der Rechte und eine Intensivierung der Kommunikation zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten und ihren Verwaltungsorganen vonnöten. Trotz der augenscheinlichen Meinungsunterschiede waren sich die Teilnehmer der Veranstaltung über die Notwendigkeit einig, sich miteinander mehr auszutauschen. Die von der Botschaft der Tschechischen Republik in Österreich veranstaltete Diskussion war aus Sicht der Teilnehmer singulär, weil sie gegensätzliche Seiten an einen Tisch brachte. So bot sich Gelegenheit, sich ein Bild von der Verschiedenheit der Interessen in Europa und der Schwierigkeit der in Brüssel geführten Diskussion zu machen.

Eine zusammenfassende Stellungnahme der Europaabgeordneten M. Dlabajová finden Sie hier (auf Tschechisch)

Mehr zum Thema Entsendung von Arbeitskräften hier

 

Ing. Martina Tauberová, Leiterin der Wirtschafts- und Handelsabteilung der Botschaft der Tschechischen Republik in Österreich

Anlagen

Declaration Mobility Package 2 MB PDF (Adobe-Acrobat-Datei ) 25.10.2017

Position CESMAD BOHEMIA 334 KB PDF (Adobe-Acrobat-Datei ) 25.10.2017

Kommentar von M. Dlabajová (Tschechisch) 786 KB PDF (Adobe-Acrobat-Datei ) 25.10.2017